Sit & Go Analyse von Coin Flips in früher Turnierphase

Als Grundlage für die Berechnungen in diesem Text dient das Independent Chip Model (ICM), welches wir bereits beschrieben haben: Beschreibung Independent Chip Model

Das ICM besagt, dass die Anzahl Chips sich nicht parallel zum erwarteten Gewinn bewegt. Für die frühe Turnierphase nehme ich ein Beispiel, welches ich früher (altes Ongame-Netz noch ohne Antes) bei einem 10 + 1 $ Sit & Go bei Europoker erlebt habe.

Situation: Zweite Hand des Turniers. Die Blinds sind 10/20, der Anfangsstack von allen war 1’500 Chips. Situation vor dieser Hand (Spieler 2 Sitzt links von Spieler 1, Spieler 3 links von Spieler 2 usw.):

  • Spieler 1: 1’500 Chips. Under the Gun
  • Spieler 2: 1’340 Chips. Verlor die erste Hand ohne Showdown.
  • Spieler 3: 1’500 Chips. (Ich)
  • Spieler 4: 1’500 Chips.
  • Spieler 5: 1’500 Chips.
  • Spieler 6: 1’690 Chips. Gewann die erste Hand ohne Showdown.
  • Spieler 7: 1’500 Chips. Habe schon über fünf Mal am gleichen Tisch gespielt wie er. Habe viele Notizen.
  • Spieler 8: 1’490 Chips. Setzte bei der ersten Hand den Small Blind
  • Spieler 9: 1’480 Chips. (abzüglich des zu bringenden Small Blinds 1’470)
  • Spieler 10: 1’500 Chips. (abzüglich des zu bringenden Big Blinds 1’480)

Dies ergibt gemäss ICM folgender erwarteter Gewinn pro Person (Ausbezahlt wird 50$ an den Sieger, 30$ an den Zweiten und 20$ an den Dritten):

  • Spieler 1: 10.00 $
  • Spieler 2: 9.02 $
  • Spieler 3: 10.00 $ (Ich)$
  • Spieler 4: 10.00 $
  • Spieler 5: 10.00 $
  • Spieler 6: 11.14 $
  • Spieler 7: 10.00 $
  • Spieler 8: 9.94 $
  • Spieler 9: 9.88 $
  • Spieler 10: 10.00 $

Das Total ergibt immer die ausbezahlte Summer (in diesem Falle 100$).

Randbemerkung

Interessant: Spieler 2 hat zwar über knapp über 10% seiner Chips verloren, aber knapp weniger als 10% an erwartetem Gewinn verloren.

Nun aber zur Hand

Spieler 1 und 2 folden vor mir. Ich habe QQ. Eine gute Starthand, die aber auch nicht Begeisterung auslöst, denn früh in Sit & Gos werde ich wohl einen oder zwei Caller bekommen, nach dem Flop vermutlich keine Position haben und in fast 50% der Fällen kommt ein A oder K auf dem Board.

Ich entscheide mich dafür, auf 70 Chips zu erhöhen (Dreieinhalb mal den Big Blind).

Spieler 4, 5 und 6 folden. Spieler 7 pusht All-In! 

Alle Spieler folden bis zu mir. Na toll! Die erfahrenen Spieler werden den Move von Spieler 7 nicht unbedingt als tolles Poker bezeichnen, solche Situationen kommen aber gerade bei 5 + 0.50$ bis 20 + 2 $ Turnieren schon mal vor! Was sind in dieser Situation meine Überlegungen.

Es läuft folgendes Protokoll ab:

  • Was könnte er haben? Welche Informationen habe ich von diesem Spieler?
  • Wahrscheinlichkeit berechnen
  • Auf ICM ummünzen

Ich kenne Spieler 7 und habe schon viele Notizen von ihm gemacht. Ich habe schon oft gegen ihn gespielt. Deshalb ‹weiss› ich, dass er mit KK und AA ’nur› einen Reraise auf ca. 200 bis 300 gemacht hätte. Tiefere Pärchen als QQ called er meist, um den Flop zu sehen. Einen All-In Re-raise in früher Phase habe ich von ihm schon zwei Mal gesehen. Beide Male zeigte er AK. Vermutlich würde er mit QQ den gleichen Move machen, aber da ich auch QQ habe, ist die Wahrscheinlichkeit sehr klein, dass er die gleiche Hand hält. Ich gehe davon aus, dass er nicht blufft, denn ich habe bisher noch keine derartigen Moves von ihm gesehen. Ich bin mir sehr sicher, dass er AK oder AKs (s steht für suited) auf der Hand hat.

Was sind nun die All-In Odds von QQ gegen AK?

Für unsere Berechnung spielt es keine grosse Rolle, ob er ein Ass oder König von der gleichen Farbe hat wie meine Damen, oder nicht, oder ob AKs suited ist oder nicht. Für die Berechnung lege ich fest, dass QQ in 55 % der Fälle gewinnt! Bei unseren Unterlagen findest du eine Liste der gängigsten All-In Situationen vor und nach dem Flop als PDF.

Bei einem Cashgame würde ich sofort Callen, da ich 55% Odds habe, den Pot zu gewinnen. Auf die Dauer mache ich damit Profit und darauf kommt es beim Pokern an! Und da es auch bei Sit & Go Turnieren auf den Profit ankommt, rechne ich aus, welche Konsequenzen ein Call von mir hätte.

Zuerst berechne ich, wie mein erwarteter Gewinn sich in folgenden drei Situationen verändert:

  • Ich folde. Ich habe danach noch 1’430 Chips. Mein erwarteter Gewinn sinkt auf 9.58$. Mein erwarteter Gewinn hat sich somit um 0.42$ verringert.
  • Ich calle und verliere. Mein erwarteter Gewinn sinkt auf 0, denn ich scheide aus. Mein erwarteter Gewinn hat sich somit um 10.00$ verringert.
  • Ich calle und gewinne. Ich habe somit 3’030 Chips (die 30 Chips kommen vom Big Blind und dem Small Blind). Spieler 7 scheidet aus. Mein erwarteter Gewinn liegt nun bei 18.60$. Trotz der Verdopplung der Chips steigt der erwartete Gewinn nicht um das Doppelte!

Jetzt muss ich den erwarteten Gewinn berechnen, wenn ich calle. In 55% der Fälle steigt mein erwarteter Gewinn auf 18.60$. Somit liegt bei einem Call mein erwarteter Gewinn (bevor die fünf Karten auf dem Tisch liegen) bei 18.60$ * 55 / 100. Dies sind somit 10.23$.
Bei einem Call liegt mein erwarteter Gewinn bei 10.23$. Wenn ich folde, liegt er bei 9.58$.

Bei einem harten Turnier, bei dem ich weiss, dass meine Gegner mir alle mindestens ebenbürtig sind, ist dies für mich ein klarer Call. Mein erwarteter Gewinn steigt schliesslich. Bei einem Sit & Go gegen lauter Anfänger würde ich in dieser Situation folden, da ich genau weiss, dass ich besser bin als meine Gegner und genug Zeit habe, diese Stärken noch auszuspielen.

Wenn mein Gegner auch AA oder KK haben könnte, ist dies ein klarer Fold. Spiele ich gegen einen wilden Spieler, der vorher schon 3 Hände in Folge All-IN gegangen ist, ist dies ein klarer Call! In diesem Beispiel spielt es keine Rolle, wie ich mich wirklich entschieden habe und wie die Hand ausgegangen ist. Wer es wirklich wissen will, kann uns eine E-Mail schreiben. 😉